Der Bettag – ein unterschätztes Korrektiv für unsere Gesellschaft
Der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry, der den «Kleinen Prinzen» verfasst hat, warnte einst: „Wenn Menschen gottlos werden, dann sind Regierungen ratlos, Lügen grenzenlos, Schulden zahllos, Besprechungen ergebnislos, dann ist Aufklärung hirnlos, Mode schamlos, sind Politiker charakterlos, Christen gebetslos, Kirchen kraftlos, Völker friedlos, Sitten zügellos, Verbrechen masslos, Konferenzen endlos und Aussichten trostlos.“
Heute liest sich das wie eine Diagnose: Politik, die Symptome verwaltet, aber kaum Lösungen findet. Wirtschaft, die immer mehr verspricht, aber keinen Sinn schenken kann. Schulen, die Wissen vermitteln, aber Orientierung und Werte kaum noch wagen. Kirchen, die sich einer Wohlfühl-Gesellschaft anbiedern, jedoch Gott und die entscheidende Botschaft Jesu Christi vernachlässigen. Eine Völkergemeinschaft die im Krieg keinen Frieden zustande bekommt. Eine Gesellschaft, die alles will – nur das Wesentliche nicht.
Wenn die Schweiz am Wochenende den eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag feiert, dann werden wir durch den Staat (!) zum Nachdenken eingeladen. Kein Feuerwerk, keine Konsumschlacht wie an Weihnachten, kein Spektakel. Sogar die Zeit der Bündner Jagd wird unterbrochen. Der Bettag ist ein stiller Feiertag. Gerade dadurch wirkt er anachronistisch – und zugleich überraschend modern. Denn er stellt eine entscheidende Frage: Worauf gründet eigentlich unser Leben, unser Wertekanon und unser Zusammenleben im Staat?
Der Blick in das Leben einer Pfarrei kann dies veranschaulichen: Kirche ist nämlich mehr als oft wiederholte Skandale der Vergangenheit. Wer den Alltag eines Priesters begleitet spürt eine andere Realität.
Da feiern junge Paare ihr Ehe-Sakrament im ehrlichen Bewusstsein, dass Liebe mehr ist als Gefühl. Liebe ist Treue – in guten wie in schlechten Tagen. Da bringen Eltern ihr Kind zur Taufe, weil es mit, und nicht ohne Gottes Schutz und Segen aufwachsen soll. Da stellen Jugendliche im Religionsunterricht Fragen, die tief unter die Haut gehen, weil sie spüren: Glauben ist nicht naiv. Glaube ist Suche nach Sinn und Wahrheit. Da finden Elternabende mit Müttern und Vätern statt, die ihren Kindern Werte mitgeben wollen, weil Leistung in Schule und Sport für eine gelingende Erziehung allein nicht tragen. Da bittet eine sterbende Frau um das Sakrament der Beichte und Krankensalbung – ein zutiefst emotionaler und versöhnender Moment, der zeigt, dass es nie zu spät ist, Frieden mit sich, mit Gott und der eigenen Familie zu finden. Da teilen Freiwillige Lebensmittel an Bedürftige aus, weil Solidarität nicht von Schlagzeilen lebt, sondern von helfenden Händen.
All diese Erfahrungen zeigen: Kirche ist mehr als Statistik. Kirche ist mitten im Leben. Christliche Werte sind kein verstaubtes Relikt, sondern gelebte Wirklichkeit. Sie sind das unsichtbare Fundament, das unsere Gesellschaft trägt.
Ein starkes Symbol dafür ist der Schweizer Fünfliber. In der Mitte: das Kreuz mit Alpenrosen und Edelweiss. Geld hat Wert – aber es ist nicht der Wert an sich. Etymologisch weist der Fünfliber weit über das Monetäre hinaus. «Livre» bedeutet «Buch». Und für Christen ist klar: Das «Buch der Bücher», die Bibel, schenkt Orientierung. „Liber“ bedeutet frei. Doch Freiheit im biblischen Sinn ist nicht Willkür, sondern Verantwortung vor Gott, vor dem Nächsten, vor den kommenden Generationen.
Auf dem Rand des Fünflibers steht: „Dominus providebit – Gott wird vorsorgen.“ Ein Satz, der heute fast provokativ klingt. Wir lagern unsere Vorsorge in Pensionskassen und Versicherungen aus – und meinen, damit alles im Griff zu haben. Der Bettag entlarvt diese Illusion. Vorsorge bedeutet nicht Kontrolle, sondern Vertrauen. Wer anerkennt, dass er nicht alles selbst schaffen kann, wird frei: frei für Dankbarkeit, frei für Umkehr, frei für Mitmenschlichkeit und frei für Gott. Wir sind Geschöpfe, nicht Schöpfer. Leben ist Geschenk, nicht Leistung.
Die Schweiz lebt von Werten, die sie nicht aus sich selbst geschaffen hat. Freiheit, Recht, Demokratie – sie sind ohne ihr christliches Fundament nicht denkbar. Wer das vergisst, verliert Orientierung. Wer es pflegt, gewinnt Zukunft. Der Bettag ist deshalb kein nostalgisches Relikt, sondern ein Prüfstein: Wollen wir eine Gesellschaft, die zum Spielplatz von Partikularinteressen und Egoismus wird – oder eine, die auf Dankbarkeit, Solidarität und Gottesvertrauen gründet?
Der Bettag ist eine Mahnung und ein Korrektiv, das uns aus der Selbstvergessenheit ruft.
Und vielleicht liegt in diesem unscheinbaren Feiertag die Kraft, eine Gesellschaft zu heilen die krank geworden ist an Gottvergessenheit und an sich selbst.
Dekan Pfr. Kurt B. Susak
Katholische Kirche Davos