Mit der adventlichen Zeit und den weihnachtlichen Festtagen stehen uns die schönsten Tage im Jahreslauf und Kirchenjahr bevor. Etwas, das Corona nämlich nicht verhindern kann, ist die Tatsache, dass am 25. Dezember Weihnachten – das Hochfest der Geburt Jesu Christi – und am Vorabend, dem 24. Dezember, der Heilige Abend gefeiert werden wird. Weihnachten findet statt. Die Frage ist nur wie? Natürlich normal und so schön wie möglich. Trotz der Auflagen und Umstände, die Corona so mit sich bringt. Oder vielleicht gar nicht «trotz» der Umstände, sondern «wegen» der Umstände?
Denn unerwartete Umstände sind eigentlich die «weihnachtliche Urerfahrung» der Christenheit. Das Geheimnis der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus präsentiert uns dies immer wieder: Gott ist anders, als wir denken. Seine Wege sind nicht unsere Wege. „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“. Gott, uns ganz nahe! Und wir IHM.
„Unser“ Weihnachten
Mit Weihnachten verbinden wir ganz individuelle Emotionen und Erfahrungen. Persönlich und als Kirchgemeinde. Das wertvolle Engagement vieler Einzelner machen Advent und Weihnachten erst zu dem, was es war und ist. Lichterfüllte Roratemessen mit Frühstück im weihnachtlich geschmückten Pfarreisaal, Hausbesuche von Samichlaus und Schmutzli, tiefsinnige Theateraufführungen und adventliche Feiern von Frauenverein, Kolping, den Ministranten, dem Chor, der Jugend und unseren Senioren. Das stimmungsvolle „Dankeschönessen“ unserer etwa 200 (!) Freiwilligen und Ehrenamtlichen. Die ergreifende Kirchenmusik mit Orchestermesse, unserem Kirchenchor in Höchstform, Violinen, Zither, Trompeten und der brausenden Orgel mit den altvertrauten Liedern. Zahlreiche Festmessen vom 4. Advent bis Dreikönig mit vollen Kirchen, Schnee, Glockengeläute und Familienfesten. Und das Wichtigste: das Weihnachten der Herzen. Das innere Erleben, dass Gott ist! Dass er mich meint und ich in ihm geborgen sein darf. Gerade dieses „innere“ Weihnachten ist Weihnachten! Und so viele in unserer Pfarrei durften dies immer wieder voll Glauben erfahren. Sie werden es auch dieses Jahr erfahren, denn das „innere“ Weihnachten findet statt. Was für eine Gnade! Dieses Jahr werden wir vermutlich aber vieles andere nicht erleben.
Das «Andere» Weihnachten
Vielleicht tut es einem Teil der manchmal satten, gestressten, selbstgerechten, kleingläubigen, überkritischen, materiell gesinnten, egoistischen, gespaltenen, oberflächlichen und unversöhnlichen Gesellschaft unserer Breitengrade einmal ganz gut, wenn nicht alles so oberflächlich weitergeht wie gewohnt. Vielleicht ist es für einen Teil unserer Gesellschaft ein Gewinn, wenn dieses Jahr einmal nicht das Weihnachtsessen im Vordergrund steht, oder die vielen leider oft inhaltsleeren, sogenannten «Weihnachtsfeiern» mit anschliessendem manchmal ganz „unweihnachtlichem“ Anschlussprogramm; wenn nicht der Geschenkestress, der Schein eines angeblich intakten Familienlebens und die Heuchelei im Vordergrund stehen.
Vielleicht wird dieses Jahr die weihnachtliche Festmesse vermisst (da in der Herberge kein Platz (mehr) für sie war – 50 Personengrenze), und das, obwohl manche doch von der Kirche und dem Glauben sowieso nicht viel halten, das ganze Jahr nie zum Gottesdienst gehen oder sich am Gemeindeleben beteiligen würden; vom theologischen Inhalt des Christentums kaum mehr Ahnung und Kenntnis haben, und schon lange nach ihrem persönlich zusammengebastelten «Privat-Glaubensbekenntnis» leben, das da heisst «ICH».
Vielleicht ist nun auch endlich für die letzten gutbezahlten Lohnempfänger der Kirche in unseren „Kirchensteuerländern“ die Zeit gekommen, zu erkennen, was auch durch ihr Versagen in der Weitergabe des frohmachenden Glaubens aus dem Christentum geworden ist. Vielleicht verstehen manche, dass Kirche mehr ist als nur Spenden sammeln, Geschichten erzählen, irgendwie nett zueinander sein und spassvoll mit «Allgemeingültigem» unterhalten zu werden. Vielleicht kommen dieses Weihnachten aber auch diejenigen selbsternannten Atheisten in unserer Wohlstandsgesellschaft zum Zug, die schon lange eine neue Gesellschaftsordnung ohne Gott propagieren, ohne christliche Feste, ohne Christentum, ohne Kirche und Kirchensteuer. Auch für sie könnte «ihr anderes Weihnachten» dieses Jahr ohne Alternativprogramm sein.
Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht!
Weihnachtliche Provokation
Vielleicht ist uns dieses Jahr an den weihnachtlichen Festtagen - ohne Ablenkungsmanöver - eine echte Chance geschenkt, nicht nur immer von Veränderung zu sprechen, sondern selbst Teil davon zu sein. Kilometerlange Autostaus und Urlaubsflüge rund um die Welt wird es dieses Weihnachten wohl nicht geben. Nicht nur die Natur wird es uns danken.
Vielleicht kommen sich dafür entfremdete Familienangehörige endlich näher, da sie notgedrungen Zeit miteinander verbringen müssen. Vielleicht kann aufrichtige Versöhnung und Vergebung wirklich möglich werden, finden tiefgründige Gespräche und echte Begegnungen statt, da wir mit unserer gewordenen Wirklichkeit knallhart konfrontiert sind.
Vielleicht übersehen wir dieses Jahr den alleinstehenden Einsamen, die Frau im Altersheim, den von unscheinbarer Armut betroffenen Nachbarn und Mitmenschen nicht mehr und werden endlich selbst aktiv.
Vielleicht greifen wir zum Telefon, schreiben eine Weihnachtskarte oder machen einen unerwarteten Kurzbesuch. Vielleicht beklagen wir nicht nur unsere Lebenssituation, sondern handeln endlich. Vielleicht haben wir dieses Weihnachten endlich einmal Zeit, unser eigenes Leben zu bedenken, Zeit unsere Fehler einzusehen und zu beweinen (Tränen heilen Wunden).
Vielleicht wird es in der «Stillen Nacht, Heiligen Nacht» wirklich Weihnachten in uns und nicht nur um uns herum. Vielleicht suchen und verbinden sich manche endlich wieder einmal mit dem Geheimnis Gottes, der uns im göttlichen Kind erlöst hat. (Das glauben wir Christen!) Vielleicht lernen sie wieder beten, bilden sich weiter (Bildungsgesellschaft), damit sie den Sinn der christlichen Theologie und Philosophie sowie den eigentlichen Sinn von Kirche neu erfassen. Authentisches Christ-Sein!
Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht!
Weihnachten ist Chance
Und so ist dieses Weihnachten eine grosse Chance, die Chance nämlich, die weihnachtliche Urerfahrung jenseits von Weihnachtsgebäck, Weihnachtsmusik und Winterromantik machen zu können, mit der viele sich in den letzten Jahren oft „kindlich“ begnügt haben. In diese, unsere Welt hinein kommt Weihnachten – und 2020 liegt es mehr denn je auch an uns, eine neue weihnachtliche Urerfahrung machen zu können. Gott hat bereits an uns gehandelt und seine Gnade wirkt.
Nutzen wir die Chance und erkennen wir, dass Weihnachten 2020 ganz normal anders sein wird, dass es ausserordentlich und unerwartet schön sein kann, und vor allem echt.
Liebe Mitchristen
Mit diesen - ich gebe zu - provokanten aber ehrlichen Gedanken, verweise ich auf die Provokation des Christentums: Gott wird Mensch! Christ der Retter, der Erlöser ist da. Durften diejenigen, die bisher in ihrem Leben den Weg des Glaubens aufrichtig gegangen sind, diese Wirklichkeit nicht auf wunderbare Weise immer wieder erfahren? Es sind mehr als mancher denkt! Sie werden es auch dieses Jahr erfahren, auf das Wesentliche reduziert, still und ehrlich, wie damals in Betlehem. Denn Weihnachten findet statt - für alle Menschen „guten Willens“. Gott handelt, hier und jetzt.
Ihnen, Euren Familien und unseren Gästen, unserer ganzen Davoser Pfarrei, wünsche ich frohe und gesegnete weihnachtliche Festtage und ein gutes neues Jahr 2021. Möge Sie die Gnade und der Segen des göttlichen Kindes erfüllen. Mögen Sie berührt und getröstet werden durch die weihnachtliche Urerfahrung - für mich ist Gott Mensch geworden. Ich bin unendlich geliebt und erlöst.
Mit dankbaren und herzlichen Segenswünschen!
Ihr Pfarrer Kurt B. Susak, Dekan